Freitag, 23. April 2004, Haus des Buches, 23 Personen
Christian v. Ditfurth
Thomas Braatz begrüßte den Gast und stellte ihn dem Publikum vor. Die entsprechenden Daten können dem lnfoblatt Nr. 52 entnommen werden.
Herr v. Ditfurth las aus seinem Buch „Der Consul".
1. Teil: Der Kriminalkommissar hat einen Alptraum von seiner Soldatenzeit im ersten Weltkrieg. Er erwacht, weil jemand an die Tür trommelt. Es ist 3.00 Uhr nachts. Der Kommissar wird zu einem wichtigen Fall gerufen, der Polizeipräsident besteht auf seiner Anwesenheit. Hitler ist bei seinem Aufenthalt im Weimarer Hotel Elephant ermordet worden. Kriminalkommissar Sötting findet in Weimar Hitlers Leiche in einem furchtbaren Zustand. Das Gefolge Hitlers wird verhört. Die Hauptverdächtige, ein Zimmermädchen namens Sophia Schmoll wird verhaftet. Die häuslichen Verhältnisse des Kommissars werden beleuchtet, es gibt Probleme mit der Lebensgefährtin. Ein neuer Fall wird der Polizei gemeldet: Röhms Leiche wurde aus der Spree gefischt. Die Mitglieder eines Rudervereins fanden den im Wasser treibenden Körper, dem der Penis abgeschnitten und in den Mund gestopft wurde. Die Mitglieder des Rudervereins werden verhört. Die einzige Spur ist das Stromkabel, mit dem Röhm gefesselt wurde.
2. Teil: Herr v. Ditfurth stellt mehrere Personen des Romans vor.
3. Teil: Kommissar Sötting hat den Dienst quittiert. Seinen Ermittlungen wurden Hindernisse in den Weg gelegt. Nun versucht er, auf eigene Faust Erkenntnisse zu gewinnen. Er versucht, die Personen aufzufinden, die Hitler in Weimar begleitet haben. Zuerst sucht er Emil Maurice, den Fahrer Hitlers, in München auf. Dieser ist ein enger Freund Hitlers. Maurice und Hitler saßen zusammen in Festungshaft und Hitler diktierte Maurice den Text seines Buches „Mein Kampf". Es stellt sich heraus, dass die meisten der damaligen Begleiter auf seltsame Weise ums Leben kamen. Einer wurde erstochen, einer vergiftet, zwei erlitten einen Verkehrsunfall. Kommissar Sötting sucht die Frau eines der Begleiter auf und versucht, über diese Kontakt aufzunehmen.
Ende der Lesung.
Interview:
Thomas Braatz (TB): In dem Buch kommt auch Leipzig vor, nämlich das Reichsgericht. Was bewegt einen Historiker, eine Alternativgeschichte zu erzählen. Es ist ja nicht nur „Der Consul", sondern auch die Bücher „Der 21. Juli" und „Die Mauer steht am Rhein" sind Alternativromane.
v. Ditfurth (D): Jedes Buch hat seine eigene Geschichte. Das Buch „Die Mauer steht am Rhein" entstand aus der Recherche zu einem Sachbuch über die PDS. Ich habe in Ostdeutschland Mitglieder der PDS befragt, wie es gewesen wäre, wenn es anders herum gekommen wäre, habe aber keine Antwort bekommen. Daraus entstand dann dieses Buch. Das Buch „Der 21. Juli" entstand aus dem Mythos der Verschwörung, das wollte ich auf die Schippe nehmen. Die Biografie begann nicht am 20. 7., sondern vorher. Die Verstrickungen und Verbrechen fallen deftiger aus als die üblichen Beweihräucherungen. Die Verschwörer hatten ihre eigenen Vorstellungen der Judenfrage und der Ausweisungen nach Palästina, die Vereinnahmung der Kriegsbeute. Das war abenteuerlich. Aber ein Sachbuch liest keiner, besser ist ein Thriller. Ich schenke ihnen jeden Wunsch, sogar die Atombombe. Es gab den Vorwurf, Himmler habe Verbindung zu den Verschwörern gehabt. Es gibt durchaus Verstrickungen der SS mit den Verschwörern. Himmler sollte wirklich dafür gewonnen werden. Mit „Der Consul" will ich nicht belehren, keine Botschaft vermitteln. Es ist die Geschichte der Unmöglichkeit Hitlers, an die Macht zu kommen. Bei den Reichstagswahlen hatten die Nazis verloren, vier Wochen später verloren die Nazis in Thüringen 40 % der Stimmen. Die Partei der Nazis war auf dem absteigenden Ast und hatte 90 Millionen Reichsmark Schulden. Sie haben Wechsel auf den Endsieg ausgestellt. Hitler wollte keine Koalition. Dann ist die Stimmung wieder umgeschlagen. Der Treibsatz waren nicht die Juden, sondern die Niederlage und der Versailler Vertrag. Das ideologische Fundament begann zu bröckeln. Es gab den Versuch von Strasser, dem Reichsorganisationsleiter, eine Koalition mit Schleicher zu erwirken. Er wollte die NSDAP sprengen. Er wurde im Juli 1934 während des Röhm-Putsches erschossen. In dieser Zeit spielt „Der Consul", aber ohne Hitler.
TB: Die drei Bücher sind sehr lehrreich für Geschichte. Bei „Die Mauer... ist interessant, wie die DDR die BRD übernimmt. Sollte das der Zeigefinger sein „Es hätte auch schlimmer kommen können?" Ich bin hier geboren und habe hier gelebt und habe einige neue Sachen erfahren von unserer Regierung, von den Methoden.
D: Mich hat die Frage interessiert, was passiert, wenn die Macht der SED auf die politische Kultur der BRD trifft. Heraus kam eher eine Satire, das kann man nicht ernst nehmen. Eine gute Satire sagt nicht, dass es so ist, sondern beschreibt die Dinge, die man sich vorstellt. Die Ausgangssituation war Gorbatschow 1990, der Putsch und der KGB. Es gab diese Bestrebungen, Gorbatschow zu stürzen. Die Vorstellung ist absurd, aber spaßig, dass die DDR die BRD übernimmt.
TB: Sie stellen dar, wie die SU versucht, ihre Ansprüche aus dem 2. Weltkrieg durchzusetzen, und wie die westliche Welt ohne Einspruch zustimmt.
D: Man denkt immer, die Geschichte hätte so verlaufen müssen, wie sie ist. Wir halten für selbstverständlich, dass die SU zusammengebrochen ist. Hätte aber der Putsch gegen Gorbatschow Erfolg gehabt, und hätte es eine neue kommunistische Regierung gegeben, dann hätte die SU länger existiert. Sie wäre zwar Pleite gewesen, ähnlich Nordkorea, aber hätte weiter existiert. Die Machthaber der SU hätten den Untergang gestoppt. Und was ist mit einer Supermacht, die Atombomben besitzt und andere Waffen? Die erste Variante war Gorbatschow, bei einer zweiten Variante könnte es sein, dass durch den Waffenbesitz erpresserische Verhandlungen möglich gewesen wären. TB: Wir haben gelernt, der Sozialismus wird keinen Krieg beginnen. Dann haben wir gehört, dass Finnland durch die SU besetzt wurde. Das haben wir aber erst später erfahren. TB zitiert: Die SU baut riesige Raketen für die Weltraumfahrt, die Amerikaner bauen kleine und leicht Computer, damit überhaupt etwas hoch geht. Die russische Technik ist ausfallsicher, weil ohne Mikroelektronik.
D: Die Unfälle der sowjetischen Raumfahrttechnik waren beträchtlich. Sie waren nicht sicherer. Das war ein Gerücht.
TB: Man hat das aber auch von den Panzern gesagt, dass elektronische Technik anfällig ist.
D: Bei jeder moderne Armee ist Fortschritt ohne Mikroelektronik nicht vorstellbar. Lenin hat gesagt: Es gewinnt der mit der höchsten Arbeitsproduktivität. Die Statistik sagt, dass die SU in der Entwicklung der Elektronik abgehängt wurde. Sie haben diese Schlüsseltechnologie nicht gehabt. Die DDR hat ja auch den Chip geklaut.
M. Orlowski: Sie haben sich sehr intensiv mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Das ist faszinierend. Sie hätten ja auch etwas in der Antike ansiedeln können?
D: Mein Gebiet ist die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Da ist der Nationalsozialismus ein Punkt, aber nicht der einzige. Das ist ein negatives Faszinosum. Diese Dichte an Vernichtungsenergie gab es nicht noch einmal, evtl. Stalin. Das ist hochinteressant, und eine Antwort darauf zu bekommen sehr wichtig.
Publikum: Haben Sie „Mein Kampf" gelesen?
D: Ja, große Teile.
P: Sollte das Buch veröffentlicht werden?
D: Ja, aber kommentiert. Es gibt auch Goebbels Tagebücher als kommentierte Ausgabe.
P: Versteht man das ohne Kommentar nicht?
D: Kaum einer wird es lesen, es ist unerträglich, auch stilistisch, und langweilig. Es hätten mehr Leute zur rechten Zeit dieses Buch lesen sollen. Hitler hat seine Pläne vorher schon skizziert. Aber der „Erbfeind Frankreich" und „die Judenfrage" waren nicht Hitlers Erfindung. Es ist wie mit der Bibel, jeder kennt sie und keiner weiß, was drin steht.
Der Marxismus-Leninismus war eigentlich konstruktiv durch die soziale Gerechtigkeit. Die Ideologie der Nazis war destruktiv von vornherein. Als Historiker muss man beide Systeme vergleichen, man darf sie aber nicht gleichsetzen. Es gibt Ähnlichkeiten der Strukturen.
Publikum: Wie konnten die Nazis ihre Politik verkaufen?
D: Der Nationalsozialismus hat verschiedene Bedürfnisse der Menschen aufgefangen. Das kann man sich nicht vorstellen. Das Gefühl der nationalen Demütigung, der Versailler Vertrag, die Niederlage 1918. In der Weimarer Zeit war in Deutschland Sozialismus ein positiv besetzter Begriff, und der Nationalsozialismus verkaufte sich so. Man hatte Angst vor den Russen. Es gab eine starke KPD und die Kommunistische Internationale. Das Bürgertum nahm das ernst und flüchtete in den Nationalsozialismus, weil der sich als entschiedener Gegner des Kommunismus darstellte. Anfangs gab es auch antikapitalistische Züge. Der Krieg war ein Hasardspiel, er wurde mit der Kriegsbeute bezahlt. Mit Plünderungen und Eroberungen wurden 50 % bezahlt, 50 % bezahlte das Land, davon 80 % die Reichen. Für die Arbeiter gab es steuerlich keine Veränderungen. Diese Form der Besteuerung und Reichtumsumverteilung war sozialistisch. Das ist eine interessante Frage.
TB: Welche Gesellschaftsordnung entspricht Ihren Intentionen? Sie waren früher in der KPD. Sind Sie jetzt zufrieden? Was stellen Sie sich vor?
D: Die Vorstellung einer Alternative ist blödsinnig. Es gibt kein Modell. Das heißt nicht, dass das, was wir haben, gut ist. Dass wir zufrieden sind, lässt nicht schlussfolgern, dass die Alternative besser ist. Es muss keine Alternative geben, sondern die Ansätze, die wir haben, sollten weiterentwickelt werden. Die Demokratie sollte zwischen den Generationen Gerechtigkeit entwickeln. Es gibt Entwicklungskonzepte. Die Agenda 2010 halte ich für Schwachsinn, ideenlos, geistlos, asozial. Es ist ein Sparprogramm mit hochtrabendem Namen, und die Leute müssen es bezahlen, die es nicht haben. Man muss die Frage stellen, wenn die SPD die gleiche Politik macht wie die andere Partei, wozu brauchen wir dann noch die SPD?
Publikum: In „Die Mauer..." wird die SPD als Verräter bezeichnet, wurde dagegen geklagt?
D: Die Wahrheit wird man doch sagen dürfen. Scherz beiseite, jeder, der da drin steht, hat es verdient. Es ist alles sauber dokumentiert, es ist alles in Ordnung. Es sind Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Bei einer Klage haben die keine Chance.
TB: Eine Rezension hat R. Eppelmann geschrieben. Hat sich irgendjemand beschwert?
D: Keiner. R. Geißler sagte, das war gut, und das fand ich prima.
M. Franke: Bevor Sie die Alternativromane geschrieben haben, haben Sie andere Romane gelesen?
D: Nein.
TB: Im Roman „Consul" kommt Ihr Bruder vor. Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem jüngeren Bruder?
D: Das Verhältnis ist gut. Er taucht in jedem meiner Bücher auf. Im Buch „21. Juli" gab es eine furchtbare Situation, im Keller, völlig ausgeliefert. Ich wusste nicht, wie ich die Situation klären konnte. Ich rief meinen Bruder an. Der lieferte die Lösung: Auf einem Bauernhof gibt es einen Misthaufen, da bildet sich Methangas. Der Bösewicht zündet sich in der Nähe der Jauchegrube eine Zigarette an, es gibt eine Explosion, die Lage ist gerettet. Dafür gab es eine Widmung zur Biochemie des Viehdungs. In einem anderen Roman ist er ein korrupter Makler.
TB: Das ist mir gar nicht aufgefallen.
D: Hätte Ihnen aber auffallen müssen.
TB: Und wie ist das Verhältnis zu Ihrer Schwester?
D: Ja eben, Sie glauben doch nicht, dass ich heute Abend darüber rede?
TB: Bestand Druck von Ihrem Vater?
D: Da gab es keine Probleme. Fachkundige Amateurpsychologen versuchen sich daran. Aber es ist alles ganz anders.
Publikum: Liest man in Deutschland keine Sachbücher mehr?
D: Es ist eindeutig, das kann man statistisch nachweisen, das politische Sachbuch ist in der Krise. Auch von den historischen Büchern sind nur einige erfolgreich. Wenn früher ein Politiker ein Buch geschrieben hat, gab es eine 30.000er Auflage, heute vielleicht noch 2.500.
D. Berger: Liegt das an der Politikverdrossenheit?
D: Das Vertrauen in die Politik hat nachgelassen. Vor der Einheit dachte man, es gibt Alternativen zu dem, was wir tun. Es ist kein Interesse mehr vorhanden.
TB: Die SPD hat keine neuen Ideen mehr, betreibt nur noch Schadensbegrenzung.
D: Eigentlich bin ich Linker. Der SPD sollte besseres einfallen als den anderen Parteien. Muss man immer das machen, was vermeintliche Zwänge verlangen? Wenn Politik nur noch die Ausführung von Sachzwängen ist, braucht man sich nicht zu streiten. Derzeit geht es nur noch um Rentensteigerungen von 1,8 oder 2 %. Es läuft alles auf das Gleiche hinaus, die Leute sollen vorsorgen und haben gar nicht die Möglichkeit dazu.
M. Orlowski: Hat es einen Grund, dass Sie in verschiedenen Verlagen veröffentlichen?
D: Das ist eine Geldfrage. Wir haben uns nicht einigen können. In zwei Verlagen gleichzeitig zu veröffentlichen, ist günstiger. Wenn etwas zu selbstverständlich wird, ist das nicht gut.
TB: Politische Bücher verkaufen sich nicht gut, verkaufen die sich als Krimi besser?
D: Ja, das ist der Grund, dass ich sie schreibe. Ich bin kein SF-Autor, sondern Historiker. Ich habe mich lange nicht getraut, Krimis zu schreiben. „Die Mauer..." ist kein Sachbuch, es ist ein Roman, vielleicht ein Zwitter. Ich wusste nicht, dass es so erfolgreich wird. Es hat Spaß gemacht.
TB: Haben Sie bei „Mann ohne Makel" aus Ihrem Leben erzählt? Etwa in Richtung Promotion? Sind Sie stolz, dass ein Historiker einen Fall löst?
D: Mir ist noch nie ein Historiker über den Weg gelaufen, der einen Fall löst. Wenn ich Apotheker wäre, wäre mir für das Buch vielleicht Gift eingefallen.
TB: Gibt es einen Berg der Schande?
D: Nein, es gibt Leute, die behaupten mich zu kennen, ohne mich gesehen zu haben. Das Buch ist keine Autobiografie, obwohl der Titel nicht schlecht ist. Natürlich profitiert der Stachelmann davon, dass der Autor auch Historiker ist. Ich bin nicht an der Universität, habe keine unerledigten Aktenstapel.
Publikum: Können Sie uns einige Worte über den neuen Stachelmann sagen?
D: Das neue Buch heißt „Mit Blindheit geschlagen". An der Uni Hamburg kommt die Hauptperson nicht mit der Promotion zu Potte. Der Professor hat von der TU Berlin einen neuen Assistenten geholt. Die Konkurrenz wird nicht willkommen geheißen. Die Frau ist auch nicht unwichtig. Stachelmann sitzt in der Kneipe, die Frau kommt herein, die beiden landen zusammen im Bett. So weit, so schlecht. Der Mann kommt nicht aus Berlin zurück. Die Frau bittet Stachelmann, den Ehemann zu suchen. Wenn jemand kein Selbstvertrauen hat, empfindet er jeden als Konkurrent.
TB: Welche Zusammenhänge gibt es?
D: Das Entscheidende ist, dass es ein Krimi ist. Es geht um die Geschichte der Arisierung, der Entjudung der deutschen Wissenschaft. Das wurde verschwiegen. Man kennt die Geschichte von Neckermann und den Banken. Die meisten wissen nicht, dass die Hauptprofiteure die einfachen Volksgenossen waren. Das Finanzamt war der größte Feind. Das Eigentum der deportierten Juden wurde versteigert. Das Gepäck, das sie angeblich mitnehmen durften, wurde versteigert, zum Teil direkt vor dem Haus an die Nachbarn. Das war ein Massenphänomen. Hamburg war nicht die größte jüdische Gemeinde, das war Frankfurt am Main. Tatsache ist, der Rüstungsminister Speer sorgte dafür, dass Juden aus ihren Wohnungen vertrieben wurden, damit die deutschen Volksgenossen, die ausgebombt waren, neue Wohnungen bekamen. Es wurde darauf geachtet, dass keiner hungern musste, die Deutschen wurden gut behandelt. Das ist der historische Hintergrund. Deshalb glaubte die Bevölkerung bis 1945 an die Nazis.
TB: Wenn Geschichte gelebt wurde, und dann anders dargestellt wird, z. B. die Wende anders dargestellt wird als sie war, gefällt mir das nicht. Es sind Hunderttausende um den Ring gelaufen, und dann waren angeblich nur acht Leute wichtig, darunter der Gewandhauskapellmeister Masur und einer von der SED-Bezirksleitung.
D: Der Zeitzeuge ist der Hauptfeind des Historikers. Die Aufgabe besteht darin, die Ereignisse zu analysieren, Quellen zu interpretieren. Aus der Sicht der SED, z. B. Krenz, haben SED und Stasi dafür gesorgt, dass es friedlich abgelaufen ist. Das ist nicht wahr. Hätten die Führer der SED und die Stasi eine Chance gesehen, diesen Aufstand mit begrenzter Gewalt niederzuwerfen, hätten sie es getan. Krenz ist ja in China gewesen und hat sich über die Geschehnisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens positiv geäußert. Sie wussten aber, dass sie damit scheitern würden. Sie haben sich selbst in die Position gebracht. Sie haben nicht mehr an ihren Staat geglaubt. In den 80er Jahren wurde ja schon von einer Föderation gesprochen. Sie haben die Wende zugelassen. Der Milliardenkredit, den Strauß vermittelte, hat die DDR erst mal gerettet. Keiner weiß, warum Strauß das gemacht hat, und warum die SED das gemacht hat. Vor der Absetzung von Ulbricht gab es ein Treffen mit Breshnew. Dort wurde gesagt: Ohne die SU gibt es keine DDR. Das war eindeutig und lag auf der Hand. Es stimmt nicht alles, was in der Zeitung steht.
Zum Ende der Veranstaltung zitiert T. Braatz: „Man darf alles aussprechen, man muss nur erwachsen genug sein, die Reaktion zu vertragen."
D: Das bezog sich auf die Leute, die ertappt wurden, z. B. Hohmann mit dem „jüdischen Tätervolk". Es ist nicht verboten das zu sagen, sie wundern sich nur, wenn sie eins in die Fresse kriegen.
Nach Ende des Interviews war die Möglichkeit gegeben, Autogramme einzuholen.
Christian v. Ditfurth
Thomas Braatz begrüßte den Gast und stellte ihn dem Publikum vor. Die entsprechenden Daten können dem lnfoblatt Nr. 52 entnommen werden.
Herr v. Ditfurth las aus seinem Buch „Der Consul".
1. Teil: Der Kriminalkommissar hat einen Alptraum von seiner Soldatenzeit im ersten Weltkrieg. Er erwacht, weil jemand an die Tür trommelt. Es ist 3.00 Uhr nachts. Der Kommissar wird zu einem wichtigen Fall gerufen, der Polizeipräsident besteht auf seiner Anwesenheit. Hitler ist bei seinem Aufenthalt im Weimarer Hotel Elephant ermordet worden. Kriminalkommissar Sötting findet in Weimar Hitlers Leiche in einem furchtbaren Zustand. Das Gefolge Hitlers wird verhört. Die Hauptverdächtige, ein Zimmermädchen namens Sophia Schmoll wird verhaftet. Die häuslichen Verhältnisse des Kommissars werden beleuchtet, es gibt Probleme mit der Lebensgefährtin. Ein neuer Fall wird der Polizei gemeldet: Röhms Leiche wurde aus der Spree gefischt. Die Mitglieder eines Rudervereins fanden den im Wasser treibenden Körper, dem der Penis abgeschnitten und in den Mund gestopft wurde. Die Mitglieder des Rudervereins werden verhört. Die einzige Spur ist das Stromkabel, mit dem Röhm gefesselt wurde.
2. Teil: Herr v. Ditfurth stellt mehrere Personen des Romans vor.
3. Teil: Kommissar Sötting hat den Dienst quittiert. Seinen Ermittlungen wurden Hindernisse in den Weg gelegt. Nun versucht er, auf eigene Faust Erkenntnisse zu gewinnen. Er versucht, die Personen aufzufinden, die Hitler in Weimar begleitet haben. Zuerst sucht er Emil Maurice, den Fahrer Hitlers, in München auf. Dieser ist ein enger Freund Hitlers. Maurice und Hitler saßen zusammen in Festungshaft und Hitler diktierte Maurice den Text seines Buches „Mein Kampf". Es stellt sich heraus, dass die meisten der damaligen Begleiter auf seltsame Weise ums Leben kamen. Einer wurde erstochen, einer vergiftet, zwei erlitten einen Verkehrsunfall. Kommissar Sötting sucht die Frau eines der Begleiter auf und versucht, über diese Kontakt aufzunehmen.
Ende der Lesung.
Interview:
Thomas Braatz (TB): In dem Buch kommt auch Leipzig vor, nämlich das Reichsgericht. Was bewegt einen Historiker, eine Alternativgeschichte zu erzählen. Es ist ja nicht nur „Der Consul", sondern auch die Bücher „Der 21. Juli" und „Die Mauer steht am Rhein" sind Alternativromane.
v. Ditfurth (D): Jedes Buch hat seine eigene Geschichte. Das Buch „Die Mauer steht am Rhein" entstand aus der Recherche zu einem Sachbuch über die PDS. Ich habe in Ostdeutschland Mitglieder der PDS befragt, wie es gewesen wäre, wenn es anders herum gekommen wäre, habe aber keine Antwort bekommen. Daraus entstand dann dieses Buch. Das Buch „Der 21. Juli" entstand aus dem Mythos der Verschwörung, das wollte ich auf die Schippe nehmen. Die Biografie begann nicht am 20. 7., sondern vorher. Die Verstrickungen und Verbrechen fallen deftiger aus als die üblichen Beweihräucherungen. Die Verschwörer hatten ihre eigenen Vorstellungen der Judenfrage und der Ausweisungen nach Palästina, die Vereinnahmung der Kriegsbeute. Das war abenteuerlich. Aber ein Sachbuch liest keiner, besser ist ein Thriller. Ich schenke ihnen jeden Wunsch, sogar die Atombombe. Es gab den Vorwurf, Himmler habe Verbindung zu den Verschwörern gehabt. Es gibt durchaus Verstrickungen der SS mit den Verschwörern. Himmler sollte wirklich dafür gewonnen werden. Mit „Der Consul" will ich nicht belehren, keine Botschaft vermitteln. Es ist die Geschichte der Unmöglichkeit Hitlers, an die Macht zu kommen. Bei den Reichstagswahlen hatten die Nazis verloren, vier Wochen später verloren die Nazis in Thüringen 40 % der Stimmen. Die Partei der Nazis war auf dem absteigenden Ast und hatte 90 Millionen Reichsmark Schulden. Sie haben Wechsel auf den Endsieg ausgestellt. Hitler wollte keine Koalition. Dann ist die Stimmung wieder umgeschlagen. Der Treibsatz waren nicht die Juden, sondern die Niederlage und der Versailler Vertrag. Das ideologische Fundament begann zu bröckeln. Es gab den Versuch von Strasser, dem Reichsorganisationsleiter, eine Koalition mit Schleicher zu erwirken. Er wollte die NSDAP sprengen. Er wurde im Juli 1934 während des Röhm-Putsches erschossen. In dieser Zeit spielt „Der Consul", aber ohne Hitler.
TB: Die drei Bücher sind sehr lehrreich für Geschichte. Bei „Die Mauer... ist interessant, wie die DDR die BRD übernimmt. Sollte das der Zeigefinger sein „Es hätte auch schlimmer kommen können?" Ich bin hier geboren und habe hier gelebt und habe einige neue Sachen erfahren von unserer Regierung, von den Methoden.
D: Mich hat die Frage interessiert, was passiert, wenn die Macht der SED auf die politische Kultur der BRD trifft. Heraus kam eher eine Satire, das kann man nicht ernst nehmen. Eine gute Satire sagt nicht, dass es so ist, sondern beschreibt die Dinge, die man sich vorstellt. Die Ausgangssituation war Gorbatschow 1990, der Putsch und der KGB. Es gab diese Bestrebungen, Gorbatschow zu stürzen. Die Vorstellung ist absurd, aber spaßig, dass die DDR die BRD übernimmt.
TB: Sie stellen dar, wie die SU versucht, ihre Ansprüche aus dem 2. Weltkrieg durchzusetzen, und wie die westliche Welt ohne Einspruch zustimmt.
D: Man denkt immer, die Geschichte hätte so verlaufen müssen, wie sie ist. Wir halten für selbstverständlich, dass die SU zusammengebrochen ist. Hätte aber der Putsch gegen Gorbatschow Erfolg gehabt, und hätte es eine neue kommunistische Regierung gegeben, dann hätte die SU länger existiert. Sie wäre zwar Pleite gewesen, ähnlich Nordkorea, aber hätte weiter existiert. Die Machthaber der SU hätten den Untergang gestoppt. Und was ist mit einer Supermacht, die Atombomben besitzt und andere Waffen? Die erste Variante war Gorbatschow, bei einer zweiten Variante könnte es sein, dass durch den Waffenbesitz erpresserische Verhandlungen möglich gewesen wären. TB: Wir haben gelernt, der Sozialismus wird keinen Krieg beginnen. Dann haben wir gehört, dass Finnland durch die SU besetzt wurde. Das haben wir aber erst später erfahren. TB zitiert: Die SU baut riesige Raketen für die Weltraumfahrt, die Amerikaner bauen kleine und leicht Computer, damit überhaupt etwas hoch geht. Die russische Technik ist ausfallsicher, weil ohne Mikroelektronik.
D: Die Unfälle der sowjetischen Raumfahrttechnik waren beträchtlich. Sie waren nicht sicherer. Das war ein Gerücht.
TB: Man hat das aber auch von den Panzern gesagt, dass elektronische Technik anfällig ist.
D: Bei jeder moderne Armee ist Fortschritt ohne Mikroelektronik nicht vorstellbar. Lenin hat gesagt: Es gewinnt der mit der höchsten Arbeitsproduktivität. Die Statistik sagt, dass die SU in der Entwicklung der Elektronik abgehängt wurde. Sie haben diese Schlüsseltechnologie nicht gehabt. Die DDR hat ja auch den Chip geklaut.
M. Orlowski: Sie haben sich sehr intensiv mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Das ist faszinierend. Sie hätten ja auch etwas in der Antike ansiedeln können?
D: Mein Gebiet ist die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts. Da ist der Nationalsozialismus ein Punkt, aber nicht der einzige. Das ist ein negatives Faszinosum. Diese Dichte an Vernichtungsenergie gab es nicht noch einmal, evtl. Stalin. Das ist hochinteressant, und eine Antwort darauf zu bekommen sehr wichtig.
Publikum: Haben Sie „Mein Kampf" gelesen?
D: Ja, große Teile.
P: Sollte das Buch veröffentlicht werden?
D: Ja, aber kommentiert. Es gibt auch Goebbels Tagebücher als kommentierte Ausgabe.
P: Versteht man das ohne Kommentar nicht?
D: Kaum einer wird es lesen, es ist unerträglich, auch stilistisch, und langweilig. Es hätten mehr Leute zur rechten Zeit dieses Buch lesen sollen. Hitler hat seine Pläne vorher schon skizziert. Aber der „Erbfeind Frankreich" und „die Judenfrage" waren nicht Hitlers Erfindung. Es ist wie mit der Bibel, jeder kennt sie und keiner weiß, was drin steht.
Der Marxismus-Leninismus war eigentlich konstruktiv durch die soziale Gerechtigkeit. Die Ideologie der Nazis war destruktiv von vornherein. Als Historiker muss man beide Systeme vergleichen, man darf sie aber nicht gleichsetzen. Es gibt Ähnlichkeiten der Strukturen.
Publikum: Wie konnten die Nazis ihre Politik verkaufen?
D: Der Nationalsozialismus hat verschiedene Bedürfnisse der Menschen aufgefangen. Das kann man sich nicht vorstellen. Das Gefühl der nationalen Demütigung, der Versailler Vertrag, die Niederlage 1918. In der Weimarer Zeit war in Deutschland Sozialismus ein positiv besetzter Begriff, und der Nationalsozialismus verkaufte sich so. Man hatte Angst vor den Russen. Es gab eine starke KPD und die Kommunistische Internationale. Das Bürgertum nahm das ernst und flüchtete in den Nationalsozialismus, weil der sich als entschiedener Gegner des Kommunismus darstellte. Anfangs gab es auch antikapitalistische Züge. Der Krieg war ein Hasardspiel, er wurde mit der Kriegsbeute bezahlt. Mit Plünderungen und Eroberungen wurden 50 % bezahlt, 50 % bezahlte das Land, davon 80 % die Reichen. Für die Arbeiter gab es steuerlich keine Veränderungen. Diese Form der Besteuerung und Reichtumsumverteilung war sozialistisch. Das ist eine interessante Frage.
TB: Welche Gesellschaftsordnung entspricht Ihren Intentionen? Sie waren früher in der KPD. Sind Sie jetzt zufrieden? Was stellen Sie sich vor?
D: Die Vorstellung einer Alternative ist blödsinnig. Es gibt kein Modell. Das heißt nicht, dass das, was wir haben, gut ist. Dass wir zufrieden sind, lässt nicht schlussfolgern, dass die Alternative besser ist. Es muss keine Alternative geben, sondern die Ansätze, die wir haben, sollten weiterentwickelt werden. Die Demokratie sollte zwischen den Generationen Gerechtigkeit entwickeln. Es gibt Entwicklungskonzepte. Die Agenda 2010 halte ich für Schwachsinn, ideenlos, geistlos, asozial. Es ist ein Sparprogramm mit hochtrabendem Namen, und die Leute müssen es bezahlen, die es nicht haben. Man muss die Frage stellen, wenn die SPD die gleiche Politik macht wie die andere Partei, wozu brauchen wir dann noch die SPD?
Publikum: In „Die Mauer..." wird die SPD als Verräter bezeichnet, wurde dagegen geklagt?
D: Die Wahrheit wird man doch sagen dürfen. Scherz beiseite, jeder, der da drin steht, hat es verdient. Es ist alles sauber dokumentiert, es ist alles in Ordnung. Es sind Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Bei einer Klage haben die keine Chance.
TB: Eine Rezension hat R. Eppelmann geschrieben. Hat sich irgendjemand beschwert?
D: Keiner. R. Geißler sagte, das war gut, und das fand ich prima.
M. Franke: Bevor Sie die Alternativromane geschrieben haben, haben Sie andere Romane gelesen?
D: Nein.
TB: Im Roman „Consul" kommt Ihr Bruder vor. Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem jüngeren Bruder?
D: Das Verhältnis ist gut. Er taucht in jedem meiner Bücher auf. Im Buch „21. Juli" gab es eine furchtbare Situation, im Keller, völlig ausgeliefert. Ich wusste nicht, wie ich die Situation klären konnte. Ich rief meinen Bruder an. Der lieferte die Lösung: Auf einem Bauernhof gibt es einen Misthaufen, da bildet sich Methangas. Der Bösewicht zündet sich in der Nähe der Jauchegrube eine Zigarette an, es gibt eine Explosion, die Lage ist gerettet. Dafür gab es eine Widmung zur Biochemie des Viehdungs. In einem anderen Roman ist er ein korrupter Makler.
TB: Das ist mir gar nicht aufgefallen.
D: Hätte Ihnen aber auffallen müssen.
TB: Und wie ist das Verhältnis zu Ihrer Schwester?
D: Ja eben, Sie glauben doch nicht, dass ich heute Abend darüber rede?
TB: Bestand Druck von Ihrem Vater?
D: Da gab es keine Probleme. Fachkundige Amateurpsychologen versuchen sich daran. Aber es ist alles ganz anders.
Publikum: Liest man in Deutschland keine Sachbücher mehr?
D: Es ist eindeutig, das kann man statistisch nachweisen, das politische Sachbuch ist in der Krise. Auch von den historischen Büchern sind nur einige erfolgreich. Wenn früher ein Politiker ein Buch geschrieben hat, gab es eine 30.000er Auflage, heute vielleicht noch 2.500.
D. Berger: Liegt das an der Politikverdrossenheit?
D: Das Vertrauen in die Politik hat nachgelassen. Vor der Einheit dachte man, es gibt Alternativen zu dem, was wir tun. Es ist kein Interesse mehr vorhanden.
TB: Die SPD hat keine neuen Ideen mehr, betreibt nur noch Schadensbegrenzung.
D: Eigentlich bin ich Linker. Der SPD sollte besseres einfallen als den anderen Parteien. Muss man immer das machen, was vermeintliche Zwänge verlangen? Wenn Politik nur noch die Ausführung von Sachzwängen ist, braucht man sich nicht zu streiten. Derzeit geht es nur noch um Rentensteigerungen von 1,8 oder 2 %. Es läuft alles auf das Gleiche hinaus, die Leute sollen vorsorgen und haben gar nicht die Möglichkeit dazu.
M. Orlowski: Hat es einen Grund, dass Sie in verschiedenen Verlagen veröffentlichen?
D: Das ist eine Geldfrage. Wir haben uns nicht einigen können. In zwei Verlagen gleichzeitig zu veröffentlichen, ist günstiger. Wenn etwas zu selbstverständlich wird, ist das nicht gut.
TB: Politische Bücher verkaufen sich nicht gut, verkaufen die sich als Krimi besser?
D: Ja, das ist der Grund, dass ich sie schreibe. Ich bin kein SF-Autor, sondern Historiker. Ich habe mich lange nicht getraut, Krimis zu schreiben. „Die Mauer..." ist kein Sachbuch, es ist ein Roman, vielleicht ein Zwitter. Ich wusste nicht, dass es so erfolgreich wird. Es hat Spaß gemacht.
TB: Haben Sie bei „Mann ohne Makel" aus Ihrem Leben erzählt? Etwa in Richtung Promotion? Sind Sie stolz, dass ein Historiker einen Fall löst?
D: Mir ist noch nie ein Historiker über den Weg gelaufen, der einen Fall löst. Wenn ich Apotheker wäre, wäre mir für das Buch vielleicht Gift eingefallen.
TB: Gibt es einen Berg der Schande?
D: Nein, es gibt Leute, die behaupten mich zu kennen, ohne mich gesehen zu haben. Das Buch ist keine Autobiografie, obwohl der Titel nicht schlecht ist. Natürlich profitiert der Stachelmann davon, dass der Autor auch Historiker ist. Ich bin nicht an der Universität, habe keine unerledigten Aktenstapel.
Publikum: Können Sie uns einige Worte über den neuen Stachelmann sagen?
D: Das neue Buch heißt „Mit Blindheit geschlagen". An der Uni Hamburg kommt die Hauptperson nicht mit der Promotion zu Potte. Der Professor hat von der TU Berlin einen neuen Assistenten geholt. Die Konkurrenz wird nicht willkommen geheißen. Die Frau ist auch nicht unwichtig. Stachelmann sitzt in der Kneipe, die Frau kommt herein, die beiden landen zusammen im Bett. So weit, so schlecht. Der Mann kommt nicht aus Berlin zurück. Die Frau bittet Stachelmann, den Ehemann zu suchen. Wenn jemand kein Selbstvertrauen hat, empfindet er jeden als Konkurrent.
TB: Welche Zusammenhänge gibt es?
D: Das Entscheidende ist, dass es ein Krimi ist. Es geht um die Geschichte der Arisierung, der Entjudung der deutschen Wissenschaft. Das wurde verschwiegen. Man kennt die Geschichte von Neckermann und den Banken. Die meisten wissen nicht, dass die Hauptprofiteure die einfachen Volksgenossen waren. Das Finanzamt war der größte Feind. Das Eigentum der deportierten Juden wurde versteigert. Das Gepäck, das sie angeblich mitnehmen durften, wurde versteigert, zum Teil direkt vor dem Haus an die Nachbarn. Das war ein Massenphänomen. Hamburg war nicht die größte jüdische Gemeinde, das war Frankfurt am Main. Tatsache ist, der Rüstungsminister Speer sorgte dafür, dass Juden aus ihren Wohnungen vertrieben wurden, damit die deutschen Volksgenossen, die ausgebombt waren, neue Wohnungen bekamen. Es wurde darauf geachtet, dass keiner hungern musste, die Deutschen wurden gut behandelt. Das ist der historische Hintergrund. Deshalb glaubte die Bevölkerung bis 1945 an die Nazis.
TB: Wenn Geschichte gelebt wurde, und dann anders dargestellt wird, z. B. die Wende anders dargestellt wird als sie war, gefällt mir das nicht. Es sind Hunderttausende um den Ring gelaufen, und dann waren angeblich nur acht Leute wichtig, darunter der Gewandhauskapellmeister Masur und einer von der SED-Bezirksleitung.
D: Der Zeitzeuge ist der Hauptfeind des Historikers. Die Aufgabe besteht darin, die Ereignisse zu analysieren, Quellen zu interpretieren. Aus der Sicht der SED, z. B. Krenz, haben SED und Stasi dafür gesorgt, dass es friedlich abgelaufen ist. Das ist nicht wahr. Hätten die Führer der SED und die Stasi eine Chance gesehen, diesen Aufstand mit begrenzter Gewalt niederzuwerfen, hätten sie es getan. Krenz ist ja in China gewesen und hat sich über die Geschehnisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens positiv geäußert. Sie wussten aber, dass sie damit scheitern würden. Sie haben sich selbst in die Position gebracht. Sie haben nicht mehr an ihren Staat geglaubt. In den 80er Jahren wurde ja schon von einer Föderation gesprochen. Sie haben die Wende zugelassen. Der Milliardenkredit, den Strauß vermittelte, hat die DDR erst mal gerettet. Keiner weiß, warum Strauß das gemacht hat, und warum die SED das gemacht hat. Vor der Absetzung von Ulbricht gab es ein Treffen mit Breshnew. Dort wurde gesagt: Ohne die SU gibt es keine DDR. Das war eindeutig und lag auf der Hand. Es stimmt nicht alles, was in der Zeitung steht.
Zum Ende der Veranstaltung zitiert T. Braatz: „Man darf alles aussprechen, man muss nur erwachsen genug sein, die Reaktion zu vertragen."
D: Das bezog sich auf die Leute, die ertappt wurden, z. B. Hohmann mit dem „jüdischen Tätervolk". Es ist nicht verboten das zu sagen, sie wundern sich nur, wenn sie eins in die Fresse kriegen.
Nach Ende des Interviews war die Möglichkeit gegeben, Autogramme einzuholen.